Gestaltpädagogische Vereinigung e.V.
Jörg Bürmann, 2002

"Prinzipien lebensweltorientierten Lernens-
Überlegungen aus der Sicht eines Gestaltpädagogen"

Aus einem Vortrag von Jörg Bürmann 2002
Exzerpt von Ute Kienzl

10 Thesen:

  1. Lernen in Institutionen ist sekundär und eher marginal, denn Lernen ist eine Grundform menschlichen Verhaltens, eine anthropologische Voraussetzung menschlicher Existenz.
  2. Deshalb sollten sich alle Lernangebote als Stärkung und Ergänzung lebensweltlicher Zusammenhänge verstehen. Sie sollten das selbstverantwortete Lernen stützen und fördern.
  3. Die Adressaten sollen dabei unterstützt werden, sich selbst im Lebensganzen verstehen zu lernen, die Sinnstrukturen zu entdecken und mitzuteilen, sowie ihre bisherige Lebensbewältigung zu würdigen. Sie sollen bei institutionellen Lernangeboten ihre persönlichen Anknüpfungspunkte finden und so ihre Lernwünsche entdecken. So werden sie in ihrem Selbstbewusstsein und ihrem Lernwillen gestärkt.
  4. Der Beginn eines lebensweltorientierten Lernprozesses sollte immer mit einer Selbstvergewisserung des eigenen Könnens in einem Suchprozess in der Gruppe bestehen. Das dabei schon Gelernte sollte schriftlich formuliert werden.
  5. Gute Alltagsbewältigung ist sowohl Zielsetzung humanen Lernens als auch Voraussetzung für fachlichen und beruflichen Kompetenzerwerb. Die Lernenden müssen erleben, dass die Institution auf ihrer Seite steht und dass mit ihren Lernerfahrungen fair und respektvoll umgegangen wird.
  6. Kognitive Lernangebote sind in eine befriedigende soziale Situation und in Prozesse der Persönlichkeitsentwicklung einzubetten. Dazu müssen sich die Lehrenden der Gruppe "angenehm" machen. Kognitive Lernprozesse werden zugleich mit Selbstfürsorge, Gefühlswahrnehmungs- und Mitteilungsfähigkeit sowie Leistungsmotivation entfaltet.
  7. Lehrende brauchen dazu Selbstkompetenz wie differenzierte Wahrnehmungsfähigkeit für den leiblichen Ausdruck und die damit verbundenen Gefühle bei sich und bei den anderen, für Gruppenatmosphäre und -stimmungen sowie dazu angemessenes Verhalten, vielfältige Ausdrucksfähigkeit von Wahrnehmungen und Gedanken, liebevolle Selbstpflege, realistische Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und Reaktionsmuster und Grundkompetenzen in Arbeitsorganisation. Sie brauchen auch soziale Kompetenzen wie mit anderen in einer Gruppe zu lernen, "sich angenehm zu machen", Empathie und Selbstdistanz, Gestaltung von Arbeitsprozessen, Bereinigung von Konflikten ohne Beschädigungen sowie Übung, mit Situationen des Scheiterns umzugehen.
  8. Gestaltpädagogik hat u.a. besondere Erfahrungen mit biographischer Selbstreflexion und kreativer Symbolisierung. Erlebnisaktivierende biographische Arbeit hilft den Subjekten, Sinnstrukturen, Entscheidungskontinuitäten und bedeutende Themen im eigenen Leben zu entdecken, sich angenommen zu erleben, zu sich selbst in ihrem Gewordensein mit allen Stärken und Schwächen eine Brücke zu finden und so zu neuen Zielorientierungen zu gelangen.
  9. Die institutionellen Angebote, insbesondere die kognitiven Lernangebote, sollten daher frei wählbar und kombinierbar, offen, über Fernstudien und Internet angeboten werden, die oben beschriebenen, komplexeren Lernaufgaben sollten in Form von Blockseminaren in einer kontinuierlichen Lerngruppe von 1-2 Wochen in einem Bildungshaus angeboten werden.
  10. Die Lehrenden sollten nur solche Lernsituationen und Arbeitsformen weitergeben, die sie selbst erfahren haben. Das erfordert regelmäßige Weiterbildung, um die Sensibilität für Chancen, Missverständnisse, Verletzlichkeiten, Zuwendungen und tiefreifende Lernerfahrungen im Umgang mit fremden Menschen zu verfeinern.
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